Wie so oft schon in diesem Sommer, , sie und er, beide bummeln sie über die Kais von Quillebeuf, später Nachmittag, Kirche, Hafeneinfahrt, Wald, das andere Ufer, der Ölhafen, in der Ferne die hohen Klippen von Le Havre, das rote Fährschiff, das den Fluß überquert, hier ist das Ende des Seinetals. Dann setzen sie sich auf die Terrasse des Hotel de la Marine, Mittelpunkt des Ortes, gegenüber der Anlegestelle des Fährschiffs. Sie betrachten einander, die Umgebung, den Sommer, die Touristen. Sie sieht "Koreaner", die näher kommen, ihre Angst wird offenkundig; es ist das Lächeln, das ihr Angst macht. sie gehen ins Cafe hinein, junge Leute vom Ort, Touristen, und an der Seite der Bar, die den Touristen vorbehalten ist, sitzt ein Paar, "verschmolzen zu einer einzigen Farbe, einer einzigen Gestalt. Einem einzigen Alter:" Zusammengesunken, bewegungslos, müde. Aus England kommend. Das Schiff hat Motorschaden. Das ist aus dem Gespräch, das sie führen, zu entnehmen. Die Frau des Engländers ist merklich älter als er. Sie kommen wohl von weit her, von unermeßlich weit her. Sie scheinen am Ende der letzten Reise angelangt, am Ende des Lebens. "Das sind sie, in der dem Tod vorausgehenden Ergebenheit, diese uns ausgelieferten Reisenden." Diese Nachmittagsstunden sind erfüllt von drei Liebesgeschichten. Die Frau, die erzählt, und ihr Begleiter befinden sich am Ende ihrer beider Geschichte. Sie, die ihn auf bedrängende Weise liebte, weiß, daß er sie längst verlassen wollte. Es geht in dieser kurzen Zeitspanne allenfalls noch um die bedächtige Frage, ob er sie denn, jemals, geliebt habe. Und er prophezeit, daß dieser Nachmittag und ihrer beider Geschichte in ein Buch eingehen werden, das sie schreiben werde. Es drängen sich ihr jedoch andere Geschichten auf, die des Paares an der Bar. Eine seit vielen Jahrzehnten, eine seit immer schon währende Geschichte, deren großartige, ja nach klassischem Vorbild großartig geratene Liebe nur von der Müdigkeit der Frau bedroht ist. Er aber liebt sie so sehr, daß er ihrem Tod, selbst der Vorstellung ihres Todes keinen Raum in seinem Leben geben will. Die dritte Liebesgeschichte findet innerhalb dieser Geschichte statt; es ist die Liebe zwischen ihr und dem jungen Verwalter, der aufs zarteste, auf schicksalhafte Weise mit ihr verbunden ist, der ihr den Namen Emily L. gegeben hat, um ihre wahre Existenz nicht zu verraten, wenn er sie sehnsüchtig ruft. Für Emily L. ist diese ihre Liebe zum jungen Verwalter so beunruhigend wie ein Gedicht, von dem sie nicht mehr weiß, ob sie es nun geträumt oder wahrhaftig geschrieben hat, das ihr geraubt, zerstört, das ausgelöscht wurde. Den jungen Verwalter treibt die Unerfüllbarkeit seiner Liebe zu Emily L. aus dem Land, auf einen anderen Kontinent, ins Vergessen und wieder zur Rückkehr.
Medienkennzeichen:
50
Jahr:
1988
Verlag:
Frankfurt / M., Suhrkamp
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Liebe
ISBN:
3-518-40135-1
Beschreibung:
159 S.
Originaltitel:
Emily L.
Mediengruppe:
Belletristik