"Jetzt also hinein." So sagt sich Helmut Halm angesichts der Brandung, die auf Kaliforniens Küste zurollt. "Man muß sich erst an diese anstürmenden Glaswände gewöhnen, die beim Vornüberstürzen in einen Schaumwall zerbrachen, nein, explodierten, in Schaumstrudel explodierten, in Schaumfontänen zerspritzten, in weiße Gischt, und diese Gischt zerrieb sich strandaufwärts in lauter Blasen und schaumiges Wasser, das dann wieder zurückschob, unter der nächsten Welle hindurch, ab ins Meer." Helmut Halm aus Stuttgart, den die Leser Walsers aus dem "Fliehenden Pferd" kennen, ist mit seiner Frau Sabine und seiner Tochter Lena hierhergekommen auf Einladung der Washington University Oakland. Den Lehrauftrag hat Rainer Mersjohann, der alte Freund und Studienkollege aus Tübingen, vermittelt. Halm spürt die Chance fortzukommen, weg von der krankmachenden Routine des Alltags an der Sillenbucher Schule. Wie eine Glut, die Zug bekommt, plötzlich hochbrennt, beginnt es in Halm zu brennen. Raus und weg, in das gelobte kalifornische Land, in ein neues Leben, das ihm schon von fern entgegenbrandet, schon auf dem Flug dorthin, ihm als Lebensjubel in die Sinne und in die Sprache fährt. Halm ist plötzlich wach, zu jeder Begeisterung fähig, mit einer Art Gier nimmt er wahr - die heftigen Farben der Früchte, die den Ton haltenden Zikaden, den weiß lodernden Wolkenwall über San Francisco, das scharfe Geglitzer der Lichterschnüre, Levkojen und Oleander, Hitze und Tankstellen, die fetten Gärten, die violetten Hügel und die träumend über die Straße gehenden Hunde. Alles reißt ihn mit, auch die Menschen samt ihren Geschichten, alles verklärt sich ihm in Lebhaftigkeit, Leichtigkeit, Leidlosigkeit. Wie hätte er da das Mädchen nicht wahrnehmen sollen, dieses "Kid", inmitten der anderen, die in seinen Kurs kamen, die wie sie, an die Grabsteine auf dem Universitäts-Campus gelehnt, in der Sonne saßen. Fran, das Collegegirl, die dreiunddreißig Jahre Jüngere, die ihren Lehrer verfolgt mit jugendlicher Bedenkenlosigkeit. Wie hätte Halm da widerstehen sollen, wie hätte er nicht süchtig werden müssen in dieser Feier des Lebens, nach Fran, mit der er die klassischen und die modernen Rollen durchspielt, um das mitzuteilen, was er verbergen will, den lächerlichsten Sachverhalt auf der Welt: ein Lehrer hat sich in eine Schülerin verliebt. Ringsum Variationen seines Falls, sagenhafte bis groteske, aus deren tödlichem Verlauf er nichts lernen kann. Der konkrete Jubel namens Jugend übertönt alles. "Er mußte zugeben, daß das Leben, dem alle Veranstaltungen dienten, etwas schönes sei."
Medienkennzeichen:
50
Jahr:
o. J.
Verlag:
Gütersloh, Bertelsmann
Aufsätze:
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Liebe
Beschreibung:
Lizenzausg., 318 S.
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Mediengruppe:
Belletristik